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Channel: Der Hauptstädter » Jugend
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Randale aus der Region

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«Vor allem Berner Chaoten», titelte die Printausgabe «Berner Zeitung», und auch unser aller Leibblatt «Bund» liess sich zu folgender Schlagzeile hinreissen: «Tanz dich frei: Die meisten Randalierer sind Berner».  Man macht sich schon Sorgen: Bern, wie verkommen ist deine Jugend? Demoliert die Stadt, in der sie wohnt? Natürlich stützen die Zahlen, welche die Kantonspolizei vergangenen Freitag der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, die Stossrichtung der Zeitungen im Grundsatz. Schliesslich sind 73 der 89 mutmasslichen Straftäter im Kanton Bern wohnhaft.

Und trotzdem hat sich hier ein Deutungsfehler eingeschlichen. Erstaunlich ist nämlich kaum, dass die meisten Delinquenten Berner sind. So gerne man der zwischenzeitlich populär gewordenen Theorie, wonach die gesamte Schweiz, vor allem aber das krawallerprobte Zürich, an jenem Abend die Randalebrüder und -schwestern zur kathartischen Entladung nach Bern abgesandt habe, geglaubt hätte – richtig wahrscheinlich war sie nie. Schliesslich ist «Tanz dich frei» eine Berner Schöpfung und (war zumindest) eine Berner Tradition, die auch noch in Bern stattfand. Was liegt also näher, als dass ein Berner Publikum teilnahm und sich eine Berner Krawallriege zum Mitmachen animieren liess? Nichts.

Dagegen wurde es bislang verpasst, zu erwähnen, wie wenige Stadtberner sich unter den Angezeigten doch befinden. Lediglich 18 der Personen, die sich nun vor der Justiz verantworten müssen, sind in der Stadt gemeldet. Die übrigen 55 stammen aus den näher und weiter entfernten Gemeinden des Kantons Bern. Die Theorie der Krawalltouristen hat also doch ihre Berechtigung: 80 Prozent aller  Angezeigten haben an jenem Abend ein Stück Weg auf sich genommen, um ihren angestauten Frust in der Hauptstadt zu entladen. Sie stammen, wenn nicht aus Zürich, dem Aargau oder Wallis, dann womöglich (die Polizei macht keine näheren Angaben) aus Münsingen, Gümligen oder Konolfingen, Langnau, Gsteigwiler, Iffwil oder Laupen. Die Stadt Bern bietet sich als Tummelfeld ja an - man ist auch etwas gar exponiert, wenn man im beschaulichen Oberösch nächtens die Scheibe des Dorfladens einschlägt.

Natürlich könnte man hier einwenden, dass die Stadtberner Delinquenten einen gewissen Standortvorteil nutzen konnten, dass sie die Stadt wie ihre Westentasche kennen und sich daher schnell einen Fluchtweg zurechtlegten, bevor sie jemand festnehmen konnte. Doch selbst wenn man dies berücksichtigt, muss sich die Stadt Bern noch nicht gross Sorgen machen um ihre Jugend – sie darf sich nämlich auf eine komfortable Quote berufen: Von den 10'000 zumeist unbescholtenen Umzugsteilnehmern dürften, konservativ geschätzt, 3000 Stadtbernerinnen und Stadtberner teilgenommen haben, also 30 Prozent. Von den Leuten, denen nun ein Rendezvous mit der Justiz bevorsteht, machen die Stadtberner hingegen nur 20 Prozent aus. Und in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen, die in der Stadt Bern wohnen (Zahlen der Statistikdienste der Stadt Bern 2011), sind sie ein richtig mickriger Prozentsatz von gerade mal 0,1 Prozent.

Man wagt sich kaum, diese Rechnung an einer Gemeinde mit einer kleineren Anzahl Jugendlicher durchzuexerzieren. Wenns dumm läuft, resultiert da leicht ein Randalierer-Anteil im vollprozentigen Bereich. Die Stadt Bern kann sich wahrlich glücklich schätzen. Und ist ab jetzt befugt, ihr erfreuliches Ergebnis jeder Gemeinde unter die Nase zu reiben, die sich sträubt, Zentrumslasten mitzutragen. Übrigens: Eine richtig schlechte Quote haben die Herren unter den mutmasslichen «Tanz dich frei»-Straftäterinnen und -Straftätern: 90 Prozent des Totals sind männlich. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.


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